Geburt ohne Angst – wie geht das?

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von Jasmin Nerici

Geburt ohne Angst – wie geht das?

Ich mache seit über 12 Jahren Mentale Geburtsvorbereitungskurse. Und in jedem Kurs mache ich ganz zu Beginn der gemeinsamen Reise der jeweiligen Gruppe einen sogenannten Mind-Set-Check. Wir schauen, was bei den Frauen spontan an Gedanken, Gefühlen und Verbindungen auftaucht, wenn sie an “Geburt” denken.
In 12 Jahren habe ich schon viele Mind-Maps gesammelt mit Worten wie Selbstbestimmung, Frauenkraft, Ekstase, Liebe, Körpererfahrung und Kontrollverlust. Jede dieser Mind-Maps war verschieden. Aber in JEDER EINZELNEN gab es eine Verbindung, die mit der Geburt eng verwoben ist: Schmerz. Und die damit verbundene Angst, diesen Schmerz nicht aushalten zu können. Die damit verbundene Sorge, über diesen Schmerz die Kontrolle zu verlieren und damit der Situation hilflos ausgeliefert zu sein.

Diese Angst ist uralt. Ja, jetzt kommt der Spruch aus der Bibel, den wir Frauen immer hören, wenn wir über Geburt sprechen: Unter Schmerzen sollst du gebären. Oder halt unter Mühen. Je nach Quelle. Schmerzen, Mühe – na das ist ja beides nicht so wirklich erbaulich. Doch nun zur Gretchenfrage: Wie schaffen wir es, diese Angst loszuwerden?
Stelle dir dazu bitte selbst 3 Fragen:

  1. Ist es wirklich das Gefühl Angst, das ich da spüre?
  2. Was muss ich wissen, damit ich mich sicher fühle?
  3. Was passiert, wenn das, wovor ich mich fürchte, tatsächlich eintritt?

Schauen wir uns das mal genauer an:

Angst – und was tatsächlich dahinter steckt.

“Angst” ist neben “Liebe” wohl eines der am öftesten falsch verwendeten Wörter um unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Wir sagen, wir haben Angst – doch in Wirklichkeit meinen wir etwas ganz anderes.

Bitte denk mal an folgende Situation:
Du bereitest dich auf die Geburt deines ersten Kindes vor. In deinem Kopf schwirren tausend Gedanken. Du möchtest den idealen Ort für die Geburt finden, die beste Begleitung an deiner Seite haben und deinen Körper gesund und gebärbereit wissen. Du wägst auf einer imaginären Plus-/Minus-Liste die Vor- und Nachteile deiner Möglichkeiten ab.

Hausgeburt, Geburtshaus oder doch ins Spital? Du möchtest eine Entscheidung treffen. Aber du hast Angst, die vermeintlich falsche Entscheidung zu treffen und dann mit den etwaigen Konsequenzen leben zu müssen.
Aber stopp: Hast du wirklich Angst? Oder ist es nur Unsicherheit? Unwissenheit?

Angst ist ein Gefühl. Angst lässt sich rational nicht erklären. Sie kommt unvermittelt und sofort in einem Gefahrenmoment. Wenn du gemütlich auf der Couch sitzt und darüber nachdenkst, ob die Hausgeburt eine Option ist, dann spür bitte mal nach, ob du tatsächlich Angst hast. Oder ist es Aufregung vor dem dir Unbekannten?

Angst lässt uns in Sekundenschnelle reagieren bzw. in eine Starre verfallen. Wir spüren die Angst in unserem Körper. Der Hals wird eng, der Bauch grummelt, der Herzschlag beschleunigt sich. Aber Angst ist keinesfalls ein Gedanke! Das heißt konkret: Jedes Mal, wenn du dich selbst sagen hörst (oder denkst) “Ich habe Angst, dass…” solltest du das Wort Angst mit dem Gefühl ersetzen, das tatsächlich dahintersteckt:
“Ich bin unsicher, dass…”
“Ich mache mir Gedanken darüber, ob…”
“Ich bin aufgeregt wenn ich daran denke, dass…”

Denn hättest du tatsächlich Angst, könntest du das vermutlich gar nicht mehr mit Worten ausdrücken!

Wissen als magischer Zauberstab
Hattest du als Kind Angst vor dunklen Räumen? Ich erinnere mich lebhaft an die Geschichten meines Vaters, der sich als kleiner Junge in der Nachkriegszeit nicht traute, in den Keller zu gehen, weil dort allerlei Gefahren lauern konnten. Diese Angst machte sich bis ins hohe Alter dadurch bemerkbar, dass er sobald er in den Keller ging und wieder zurückkam, dringendsten auf die Toilette musste (siehst du – der Körper reagiert!). Als Kind konnte mein Vater gar nicht in den Keller gehen. Es war ihm nicht möglich, seine Angst zu bezwingen. Erst als er älter wurde, wurde ihm das Wissen zuteil, dass nicht in jedem Keller ein böser Mensch lauert, der kleine Kinder fressen möchte. So konnte er zumindest Herr über seine Angst werden, und diese zwar wahrnehmen als Warnsignal, aber wurde davon nicht mehr abgehalten, den Keller zu betreten.

Wissen ist unser magischer Zauberstab, der das Gefühl der Angst in Null komma Nichts auflösen kann.

Für die Geburt bedeutet das:

  • Du musst wissen, was bei der Geburt auf dich zukommt
  • Du musst verstehen, was Wehen sind, wie sie sich anfühlen und was sie bewirken
  • Du musst erfahren, an welchen Stellen es weh tun kann und wie du mit diesem Schmerz arbeiten kannst (Ressourcenmangagement)
  • Du musst lernen, deine Körperempfindungen im Detail wahrzunehmen

Dann hat die Angst keine Chance dich zu überrollen und die Kontrolle zu übernehmen.

Dein Plan B – Was passiert wenn’s passiert ist.

Zu guter Letzt mischen wir eine Prise Realität in das Thema. Wir alle wissen, dass das Leben grausam sein kann. Menschen, die immer nur positiv denken, sind ziemlich realitätsfern. Deshalb lege ich dir ans Herz, nicht nur positiv, sondern vielmehr konstruktiv zu denken. Und deiner schlimmsten Angst ins Auge zu blicken. Was wäre das absolute Horrorszenario für Dich in Bezug auf die Geburt? Mal dir das mal in einer ruhigen Minute im Gedanken aus. Spüre dann tatsächlich, welche Angst in dir aufsteigt. Und dann komm wieder zurück und schreib dir eine kleine Liste mit all jenen Punkten, die dich dabei zutiefst erschrecken.

Hier ein kleiner Überblick der tiefen Ängste, die ich in meiner Tätigkeit schon begleiten durfte:

  • Angst vor dem Tod des Kindes
  • Angst vor völligem Kontrollverlust
  • Angst vor unbewältigbaren Schmerzen
  • Angst vor Blamage oder Integritätsverlust
  • Angst vor Schuld
  • Angst vor dem Versagen

Etwas dabei, was dir bekannt vorkommt? Dann nimm es dir und brich es nun auf seine Konsequenzen herunter. Welche Folgen hätte es, wenn du bei der Geburt die Kontrolle verlierst? Wie würde das Leben für dich weitergehen, wenn du dein Kind verlierst? Könntest du dir selbst vergeben, wenn du eine Entscheidung triffst, die sich im Nachhinein betrachtet als falsch herausstellt?

Du wirst sehen: Selbst im schlimmsten Fall wird das Leben davon relativ unbeeindruckt weitergehen. Wir haben es selbst in der Hand, wie wir damit umgehen. Du selbst bestimmst über das, was du dann tust.